Arme Kindheit
Josef Schlicht war der erstgeborene Sohn einer kinderreichen Gütlersfamilie, die einen Hof mit 14 Tagwerk bewirtschaftete. Von seinen 17 Geschwistern überlebten elf das Kleinkindalter nicht. Sein Vater war „in der Junggesellenzeit ein Zither-, Sing- und Schützenblut, ohne Falsch von je, ehrliebend, sehr viel Gemüt; seine Mutter liebherzig, flink, frohsinnig, in Rede und Gebärde eine Landanmut von ihrem Jugendgeschäft, dem Kleidermachen“. So berichtet Schlicht über seine Abstammung. Josef Schlicht wäre beinahe unehelich zur Welt gekommen, da die „Bauernfünfer“ (Vorläufer des Gemeinderats) die Eheerlaubnis für seine Eltern mangels Vermögen verweigerten. Heiraten durften damals – mit Blick auf die Armenkasse – nur, wer eine gesicherte Existenz aufweisen konnte. Schlichts geistliche Laufbahn wäre als uneheliches Kind kaum möglich gewesen. Aber es kam anders. Schlichts Vater erbte das „Bergmartlgütl“ und konnte nun seine große Liebe heiraten. Die 1830 geborene illegitime Tochter Theresia wurde legitimiert.

Der malerisch gelegene Ort Geroldshausen,
Marktgemeinde Wolnzach in der Hallertau – Hier ist Josef Schlicht am 18. März
1832 geboren und hier verbrachte er seine Kindheit
(Foto Hans Agsteiner, Februar 2007)
Nach Schlichts autobiographischen Angaben verlebte er anfangs eine frohe, dann aber eine eher traurige Kindheit. Mit drei Jahren hat der kleine Josef Glück im Unglück. So beschreibt er später ein gefährliches Erlebnis: „Aus Lebenslust mit Armen und Beinen schlegelnd, glitt er, hinaus in das Feld auf dem Ernteleiterwagen, unversehens seiner Mutter vom Schoß und kugelte dabei so unter den leeren Erntewagen hinein, dass ein Hinterrad aufstieg und kaltblütig über seinen Kopf hinwegging: „Es tat ihm sonst weiter gar nichts, als dass es ein wenig bremselte und die jugenddämmrigste Rückerinnerung in sein drittes Lebensjahr ist“. Es waren zunächst frohe unbeschwerte Kinderjahre, ausgefüllt mit Spiel und kleinen Arbeiten für die Familie.
Am 8. Oktober 1838, der kleine Josef war gerade mal sechs Jahre alt, starb seine Mutter bei der Geburt eines Geschwisterchens im Alter von 30 Jahren. Die neugeborene kleine Theresia folgte ihr am 27. Oktober im Tode nach. Es klingt wie Erinnerung an die Leichenfeier seiner „liebherzigen, flinken, frohsinnigen“ Mutter, wenn er später in seinen „Kulturskizzen“ schreibt: „Er steht am Grab seiner Mutter, gegängelt von der kindlichen Liebe. Begreiflich, da unter geweihter Erde liegt jenes Auge, das über ihn gewacht, jenes Ohr, das sich nie seinem Hilferuf verschlossen, jener Mund, der um seinetwillen gedarbt, jenes Herz, das für ihn geschlagen, jenes Haupt, das auf sein Glück gesonnen… Und habt ihr denn, als wir sie wegtrugen aus ihrem Hause, nicht gehört das herzzerreißende unstillbare Wimmern und Wehklagen ihrer Kinder? Mann und Kinder weinen untröstlich um die gute Mutter.“ Blutet bei Schlichts Erzählung nicht das Kinderherz wieder?
Ehemaliges Elternhaus von Josef Schlicht in
Geroldshausen
(aus: Rupert Sigl, Josef Schlicht – Der rechte treue Baiernspiegel, Rosenheim
1982)
Das Gebäude war zu Schlichts Zeiten eingeschossig und mit einem Strohdach
gedeckt. Bis etwa 1955 hatte es einen Giebelerker über der Haustür. Um 1955
wurde es um ein Geschoss erhöht (siehe Bild). 1978 wurde Schlichts Elternhaus
abgebrochen und durch den heutigen Neubau mit einer Erinnerungstafel für Josef
Schlicht über dem Eingang ersetzt.
(Freundliche Informationen durch den Urgroßneffen von Josef Schlicht, Herrn
Matthäus Schlicht, im Februar 2007)
Seine „ereignisschwere Knabenzeit“ konfrontierte ihn ständig mit dem Tod und gerade mit dem Sterben jener Menschen, die ihm besonders nahe standen, sein erster Lehrer und sein erster Pfarrer. Während der Pfarrer geistesgestört ins Wasser sprang, brachte sich der ledige Lehrer nach einem Wirtshausbesuch selbst Verletzungen am Arm bei und verblutete. Schlichts Vater heiratete wieder. Mit dem Einzug der Stiefmutter war für den kleinen Josef aber die Nestwärme entschwunden. Schlicht schreibt in seiner Autobiographie: „Den ersten Lebensbund seines Vaters schloss die Liebe, den zweiten nur mehr das Geld; daher brachte dieser wohl noch einen starken Kinderzuwachs von sechs lebenden Köpfen, aber die wahre Harmonie der Seelen niemals. Nach seinem sechsten Jahr hörte das Vaterhaus auf, ihm sein trautes, süßes Heim zu bleiben. Er selbst war freilich auch kein stilles, kosiges Stiefkind, eher ein halsbrechend wilder Bube: Auf dem First des Elternhauses (s’war noch das alte liebe Strohdach) auf dem Kopfe stehend, das zählte noch lange nicht zu den tollkühnsten Stücken“.
Erinnerungstafel an Josef Schlicht
an dessen Geburtsstätte in Geroldshausen, Hauptstraße 44
(Foto Hans Agsteiner, Februar 2007)
Da sich noch weitere nachkommende Geschwister um den Tisch drängten, musste der Vater daran denken, den Ältesten von der Suppenschüssel wegzubringen. Er sollte das ehrsame Stiefelmachen erlernen. Doch dagegen sperrte sich der Quicklebendige, und er wurde Hüterbub. Er war ein gewitztes Bürschlein und fand das Wohlgefallen seines Pfarrers Josef Hilmer, der ihn dann nach dem herkömmlichen Lehrjahr im Pfarrhof für eine geistliche Laufbahn im Auge hatte.