Dr. Rupert Sigl – ein großer Schlicht-Kenner
Zwei Autoren haben sich bisher mit Josef Schlicht und seinem Werk am intensivsten befasst: Dr. Rupert Sigl und Johann Wax.
Dr. Rupert Sigl, einst Kulturredakteur am „Straubinger Tagblatt“, hat sich eingehend mit Schlicht beschäftigt und ist der große Schlichtkenner schlechthin. Sein halbes Leben hat er sich mit Leben und Werk von Josef Schlicht befasst. Von besonderer Bedeutung für die Schlicht-Forschung ist die Biographie, für die er auch Quellen aus dem ihm gehörenden Schlicht-Nachlass verwendete: „Josef Schlicht - Der rechte treue Baiernspiegel – Eine Einführung in Leben und Werk des Klassikers der bairischen Volkskunde“, Rosenheim 1982. Im ersten Teil seines Buches geht Sigl ein auf Heimat und Kindheit, Jugend und Bildung, Schlichts Zeit als der „Kloa Herr“, d.h. Kooperator in Oberschneiding sowie auf den Schriftsteller. Den zweiten Teil widmet Sigl dem Dichter und Volkskundler sowie Schlichts Zeit- und Gesellschaftskritik und Schlichts Nachleben. In zahlreichen Artikeln in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und Kalendern hat Sigl das Werk des Steinacher Schlossbenefiziaten Josef Schlicht dargestellt und gewürdigt. In dem von ihm herausgegebenen Buch „Blau Weiss in Schimpf und Ehr“ bringt er verschiedene Erzählungen von Josef Schlicht aus dessen Veröffentlichungen und aus dessen Nachlass einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis.
Sigl geht auch auf Schlichts literarische Darstellungsweise ein: „Und all das und unendlich viel mehr hat der Schlossbenefiziat nicht in einer strohtrockenen Art wie ein Volkskundler geschildert, sondern eben ‚gestaltenwirklich’, erlebt. Und daran hängt heute unser großes Interesse, weil Schlicht Menschen, verliebte und leidende, Herren und Knechte, in ihrem Alltag darstellte, in ihrer Arbeit und Freude, in ihrer Krankheit und ihrem Übermut, kurz das ‚ganze Volksleben’“.
Den zweiten Teil seines Buches nennt Sigl „Der Dichter und Volkskundler“.
In mehreren Passagen weist Sigl darauf hin, dass Schlicht „mehr ein gestaltender Künstler“ ist. Die Sprache habe eine ungeheuere Bildkraft und Farbigkeit, vor der sich der Volkskundler wie farbenblind vorkommen müsse. Die bajuwarisch-barocke Überladung mit Verben habe nichts mehr mit der Wissenschaft vom Volke zu tun.
„Hier flirtet und spielt, tändelt und scherzt einer mit der Sprache, wie nur ein Verliebter es kann, der sich selbst nicht mehr kennt, sondern einfach von seinen Phantasien mitgerissen wird. Ecce poeta! Seht den Dichter am Werk, den gestaltenden Künstler, dem das ‚Bilde, Künstler ! Rede nicht !’ zum Schicksal geworden ist, ihn selbst übermächtigt hat“. Nach Sigl ist das Aneinanderreihen für Schlichts Stil charakteristisch. Es offenbart uns sein leidenschaftliches Spiel mit den Worten, um die Wirklichkeit des Lebens einfangen zu können. Wie mit den Verba versuchte er es auch mit Adjektiven und Substantiven: „Der Stadtprediger war der seine, dem er zweistundenweit zuruderte ‚durch Sonnenglut und Bärenkälte, Schneewehen und Glatteis, Staubwolken, Wetterblitz und Landschwemmen’“. Ein weiteres Beispiel führt Sigl an: „Der Lenz, der sich seinen Lieblingsschmaus in der Stadt gekauft hat, ihn aber ungenießbar findet, verliert seine heitere Laune, setzt sein entschlossenstes, pelzigstes, fuchtigstes, wildestes, grimmigstes Gesicht auf, richtet sich noch ein drittes und letztes Mal zum Zugreifen und schielt dabei in seine Mahlzeit hinein: ‚Kaffd hob öh döh; zoihd hob öh döh; und frößn duar öh döh jetzt schon ah, geht’s wöi’s mog’“.
Weiter führt Sigl aus:
„Ein sicheres Merkmal, an dem wir den Dichter erkennen können: Das Wort ist ihm keineswegs Hauptzweck. Die aufmerksamkeitheischenden Neuprägungen treten in seiner Schilderung so ganz ohne Zwang und unauffällig auf und beweisen, dass der Schriftsteller sie nicht einmal gesucht hat. Wieder ein Grund mehr, in ihm einen Dichter zu sehen, der an der Form nicht mühsam meistern muss. Darum kommt bei ihm auch der Stoff als solcher restlos zur Geltung. Und dieser Stoff ist immer der Mensch und nur der Mensch. Nicht, dass er achtlos an dem Zauber der Natur vorübergegangen wäre: manch ein kurz hingeworfenes Wort lässt uns ahnen, dass er gar gut zu lesen verstand im Buch der Schöpfung. Aber sein erstes und letztes Interesse gilt dem Menschen und allem was ihn seelisch bewegt“.
Die kritische Magister-Arbeit von Johann Wax - Versuch einer Rezension
In jüngerer Zeit hat sich Johann Wax in seiner Magisterarbeit mit dem Thema „Die Darstellung des Volkslebens bei Joseph Schlicht und ihre Wirkungsgeschichte“, vorgelegt 1986 am Lehrstuhl für Volkskunde der Universität Regensburg, wissenschaftlich mit Josef Schlicht und seinem Werk auseinandergesetzt (im Folgenden zitiert: Wax , Schlicht/Volksleben). Er beleuchtet in seiner sehr fundierten Arbeit kritisch Schlichts Werdegang vom Hüterjungen zum volkskundlichen Literaten. Wax gliedert seine Arbeit in zwei Teile. Im ersten Teil stellt er den Aussage- und Quellenwert von Schlichts Werk auf dem geistesgeschichtlichen und wirtschaftspolitischen Hintergrund des 19. Jahrhunderts vor. Der zweite Teil der Arbeit vermittelt den Rezeptionsstrang des Schlichtschen Werks. Dabei arbeitet er eine Interessensgruppe heraus, der die Schlicht-Forschung seiner Meinung nach von Beginn an ein Anliegen war, wobei er das wandelnde Interesse dieser Gruppe analysiert. Nach Schlichts Biographie, wendet sich Wax der Interpretation der Erzählungen Schlichts zu. Zur Interpretation zog er die Erzählungen „Der Blitz in die Grenzfichte“, „Die brave Plendlbäuerin“ und „Der ehrbare Seniorbauer“ heran.
Nach Wax gebraucht Schlicht einen ausgeprägten Adjektiv-Stil, dargestellt an Hand der Erzählung „Der Aumer von Gmünd“: „seebreite Donau“, „allernächster Nachbar“, „sauerstoffreicher tiefschattiger Konzerthain“. Durch solche Zusammensetzungen schaffe Schlicht oft assoziationsreiche Wortballungen, die durch Vergleiche und Bilder in ihrer Stimmungserzeugung noch unterstützt werden: „wie ein Laubeiland im Meer“, „wie ein versteinerter Strom“, „als schön geschnittener Kegelberg“. Verbindungen und Reihungen von Substantiven helfen nach Wax diese stereotyp überhöhte Landschaftbeschreibung zu untermalen: „Weizen-, Korn- und Gerstenfelder“. Mit der abschließenden Bezeichnung der Landschaft als „Paradies“ wird die religiöse Überhöhung der Welt, in der der Bauer lebt, deutlich. Die Stadt erscheine gegenüber der Landschaftsbeschreibung eindeutig im negativen Licht. Diese stadtfeindliche Haltung Schlichts sei latent vorhanden. Von „den neumodischen christentumslosen frechen Pflasterzeisigen“ und vom „gottfeindlichen Stadtvolk“ ist die Rede. Die bäuerliche Welt und die bäuerliche Hierarchie ist für Schlicht in Ordnung und wird für gut befunden. So stellt Schlicht die Sitzordnung im Wirtshaus durchaus positiv dar: Großbauer, Mittelbauer, Kleinbauer, Großsöldner, Mittelsöldner, Kleinsöldner, Gütler, Häusler und Leerhäusler sitzen getrennt voneinander auf den ersten fünf Tischen. Am sechsten Tisch endlich sitzen die durchziehenden Schnapsbrüder, Zigeuner, Schnallendrücker, Buttenträger, Gänstreiber, Mausfallenhändler, Bilderpritscher (=Jahrmarktshändler). Die Methoden, die Schlicht den Bauern – sollte die Hierarchie einmal gestört sein – zubilligt, um diese wieder herzustellen, tragen zum Teil menschenverachtende Züge. So verweist Wax auf die Erzählung „Der bayerische Oberknecht“; wo die Hofhierarchie durch Prügel aufrechterhalten wird.
Der Bauer steht nach Wax im Mittelpunkt von Schlichts Betrachtungen, vor allem der Großbauer. Charakterköpfe sind fester Bestandteil seiner Erzählungen. Dabei verwendet er gern die Attribute „brav, ehrenbrav, altbayerisch, blauweiß“. Nach Wax werden die Personen der Erzählung als religiöse Menschen dargestellt. Die Attribute für den „Seniorbauern“ veranschaulichen das: „echter katholischer Kernbayer“, „der ehrenbrave wie christlich-frohsinnige Senior“, „schneidiger Berufsernst und christliche Tatkraft“. Auch in der Leitung seines Hofes handelt der Bauer nach streng christlichen Grundsätzen: „Sein zahlreiches Untertanenvolk (…) nahm er sofort in gebührend strenge Christenordnung“, „in Hausandacht, Familienfrömmigkeit, Kircheneifer (…) war er den Seinigen allein ein lebendiges Vorbild und Beispiel“.
Zweck der Erzählungen liegt nach Wax klar in der Vorbildhaftigkeit der dargestellten Personen. Es handelt sich durchwegs um Moralgeschichten, die das Beispielhafte des Dargestellten vermitteln sollen (Wax, Schlicht/Volksleben, 25). Nach Wax beschränkt sich Schlichts Darstellung von Volksleben auf den Bauern. Dies lasse sich wiederum einschränken auf eine gehobene Schicht von Bauern, lediglich Groß- und Mittelbauern seien zur Darstellung gelangt. Andere soziale Dorfschichten fänden über Erwähnungen hinaus keine Beachtung. Soziale Spannungen seien kein Thema der Erzählungen. Es werde lediglich eine bäuerliche Idylle gezeigt. Wax verweist auf K.S. Kramer, der betont, dass dem „scharfen Beobachter Schlicht“ die widrigen Zeitumstände und die sich immer stärker andeutende Industrialisierung und Technisierung nicht verborgen bleiben konnten. Kramer kritisiere, dass Schlicht soziale Konflikte ausspare und den Wandel der Zeit, der gerade die Bauernschaft anging, nicht thematisierte. D. Bayer spreche von „Zwangsharmonisierung“. Dem Leser werde das Traumbild einer Wirklichkeit vorgegaukelt, die es gar nicht gebe. Nur das Schöne werde sichtbar; alles was wirklich, natürlich und darum auch einmal schwer oder unangenehm sein könnte, werde unterschlagen. Auch K.A. Mayer schließe sich dem an und betone, dass Schlicht viel von unsittlichen Zuständen in Bayern verschweige, dass er eine „mittelalterliche Insel“ schildere, die abgehoben sei von der realen Welt. Volksleben unterliege bei Schlicht einer starken Idealisierung. „ Wer idealisiert, verklärt die Wirklichkeit mit Werten, die ihr nicht entsprechen“. Nicht mehr der Bauer und seine Arbeit sind Gegenstand der Darstellung, „sondern die in die bäuerliche Welt projizierte Vorstellung des Dichters“.
Weiter führt Wax aus:
„Als wichtige Komponente, die Schlichts Bauern ausmacht, zeigt sich die Religion. Schlicht propagiert den christlich-katholischen Bauern …. Der Beruf des Bauern erscheint als göttliche Bestimmung. Wird dieser göttlichen Berufung gefolgt, ist der Erfolg im Leben und Beruf gesichert, anders nicht – so Schlicht. Die ausschließliche Darstellung von reichen Bauern scheint dies zu untermauern ….
Schlichts Volksleben stellt jedoch eine statische Welt dar, die keinen Bezug zur Gegenwart hat. Darin äußert sich ein stark konservativer Zug, eine „Obedienzgesinnung“, die letztlich konservative Kreise seiner Zeit unterstützten und nichts zur Lösung wirklicher Probleme des Bauernstandes beitrugen.
Soweit kann die Arbeit von Johann Wax als durchaus fundiert und gut recherchiert eingeordnet werden. Seine weiteren Thesen aber können nicht unwidersprochen hingenommen werden.
Josef Schlicht – Nazi-Vorläufer und Antisemit?
Johann Wax kommt auf Grund seiner Überlegungen zu weiteren bemerkenswerten Schlussfolgerungen und Behauptungen:
- „Das Volksleben unterliegt bei Schlicht
einer starken Idealisierung (Wax, 31). Schlicht hat germanische Mythologie
in sein Werk eingebracht. Das führt zu der Gleichung nordisch = germanisch
= bäuerlich. Bauerntum und Bauernmythos werden hochgehalten (Wax,
Schlicht/Volksleben 33,34). Schlicht ist mit dem Inhalt seiner Erzählungen
zu dem Vorbereitungsstrang nationalsozialistischer Ideen zu zählen ….
Die Analyse seiner Texte hat deutlich ergeben, dass sich von Schlicht vertretene Ideen … typisch für das 19. Jahrhundert waren, bei den Nazis wieder finden, dort eigentlich erst recht kultiviert werden“. - „Auffallend antisemitische Haltung“?
Wax führt auf S. 18 und 78 weiter aus:
“Schlicht schildert normalerweise funktionierende Bauernwelt. Störer oder Feinde finden sich sowohl in der Hof- wie in der Dorfhierachie. Es sind ‚lässige Knechte’, ‚böse Dorfrangen’, ‚auswärtige Strolche’. Neben diesen Störern allgemeiner Art taucht auch der Jude als spezieller Gegner bäuerlichen Lebens auf. Schlicht schildert ihn ziemlich drastisch als geldbesitzenden Wuchere…. ‚Jude’ taucht oft in diffamierenden Zusammensetzungen auf: ‚Geldjuden’, ‚Judenschludbuch’ (Wax, Schlicht/Volksleben, 18)“.
Weiter ergänzt Wax:
“Darüber hinaus äußern sich in Schlichts Bauerndarstellungen pangermanische Ideen, die – mit einer auffallend antisemitischen Haltung gepaart – national–sozialistisches Gedankengut bereits vorwegnehmen“. - Die Lehrerschaft als die Triebfeder der
Schlicht-Verherrlichung.
Die „Konservierung“ Schlichts durch die Lehrerschaft (Wax, Schlicht/Volksleben, 78 ff.) wird hingehend behandelt.
Wax führt einleitend aus: „… die Ergebnisse von Heimatforschung sind dazu geeignet, Machtverhältnisse zu festigen“.
Weitere Aussagen von Wax in Stichworten:
“Über den Schulbereich wird hier zum Teil schon Kindern falsche Tradition als Identifikation angeboten“.
“Von obrigkeitlicher Seite vereinnahmt hat die solcherart gepflegte Kultur unter anderem die Funktion, in der vernachlässigten Provinz, die ‚Jahr für Jahr die beifallsseelige Kulisse’ für politische Veranstaltungen abgeben darf, die frustrierende wirtschaftspolitische Gegenwart abzudämpfen und mit dem Bild einer besseren Vergangenheit von dieser abzulenken“.
“In diesem Rahmen leistet Schlicht durch seine Darstellung von Volksleben – fleißig verbreitet und aufpoliert von Lehrern – seinen Beitrag, erweist sich als nicht so schlicht“.
“… doch kann Heimatforschung nach wie vor konkretes Aufstiegsmittel sein, da bei aufstiegswilligen Lehrern geprüft wird, ob sie etwas veröffentlicht haben“.
Kritisch geht Wax auch auf die „Heimatkundliche Stoffsammlung“ der bayerischen Volksschulen ein.
Eine Ehrenrettung für Josef Schlicht
Die von Wax wissenschaftlich ermittelten Fakten können nicht bestritten werden. Doch kommt Wax in seiner Interpretation zu Schlussfolgerungen, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen.
Zu 1: Schlichts Bauerndarstellung als Vorbereitungsstrang nationalsozialistischer Ideen.
Wax konnte in einem Gespräch mit dem Steinacher Josef Altschäffl, geboren 1901 und vier Jahre lang Ministrant bei Schlicht, in Erfahrung bringen, dass Schlicht in Gesprächen mit den Leuten viel erfahren hat, was er dann in seine Erzählungen verarbeitete. Diese ist ein Hinweis dafür, dass Schlicht nicht nur fabulierte, sondern seine Eindrücke durch unmittelbare Befragungen gewonnen hat.
Dass Schlichts Bauerndarstellung nicht als „Vorbereitungsstrang nationalsozialistischer Ideen“ in Betracht kommt, zeigt Wax an anderer Stelle selbst auf: „Schlichts“ Darstellung vom Bauern zeigte vermutlich eine für die Nazis zu starke religiöse Komponente, so dass sie nicht in dem Maße für ihre politischen Zwecke verwertbar war“ (Wax, Schlicht/Volksleben, 61). Damit widerlegt Wax selbst seine oben genannte These.
Ich darf in diesem Zusammenhang nochmals darauf hinweisen, dass Schlicht keine wissenschaftliche Arbeit der Volkskunde schreiben wollte (obwohl er dazu befähigt war). Prof. Angelus Sturm führt dazu aus: „Kaum ein Blatt findet sich in seinen Büchern, das ihn nicht als Dichter verriete“. Sein Stil, seine Charakterisierung der bayerischen Mentalität, seine Schilderung des Volkslebens, die Generationen überdauern wird, verrät uns mehr den gestaltenden Künstler als den nüchternen Gelehrten“.
Mit diesen Fragen beschäftigt sich in jüngster Zeit Prof. Dr. Karl Hausberger, Universität Regensburg (vgl. 10. Forschungsbericht der Universität, veröffentlicht im Internet). Das Forschungsthema lautet: „Dorfidylle contra Großstadtfeindlichkeit? Leben und Werk des religiösen ‚Volkskundlers’ Josef Schlicht (1832 – 1917)“. Hausberger untersucht, ob Schlicht in seinen Werken, namentlich im vielgerühmten Buch „Bayerisch Land und Bayerisch Volk“ von 1875, tatsächlich ein realitätsnahes Bild vom bäuerlichen Leben und volksfrommen Brauchtum im Niederbayern des 19. Jahrhunderts zeichnet oder ob es ihm in der Gefolgschaft von Wilhelm Heinrich Riehl in erster Linie darum geht, ein idealisiertes Landleben gegen die moderne Industriekultur auszuspielen. Prof. Hausberger führt weiter dazu aus: „Dieser Frage gilt das Hauptinteresse der Untersuchung seines literarischen Oevres mit dem Ziel, erstmals eine kritische, auch auf ungedruckten Quellen fußende Biographie Schlichts vorzulegen. Außerdem ist die Veröffentlichung einer Anthologie seiner teilweise nur mehr schwer zugänglichen Mileuskizzen geplant. Das schon im Forschungsbericht 2003 benannte Projekt, musste zurückgestellt werden, weil der im Privatbesitz befindliche Nachlass Schlichts nicht zugänglich war. Zwischenzeitlich ist dieses Problem behoben“. Dem Ergebnis dieser Forschungen wird mit Interesse entgegengesehen.
Schlicht wegen seiner vielleicht zu blumigen Schilderungen des bäuerlichen Lebens – wie Wax meint – zum „Vorbereitungsstrang nationalsozialistischer Ideen“ zu rechnen, halte ich für abwegig.
Zu 2: Die Darstellung Schlichts als Antisemit
Am Beispiel der „Geschichte von Steinach“ ist Schlichts Grundeinstellung zum Thema „Juden“ gut erkennbar. Schlicht übt dort Kritik am Finanzgebaren der früheren Steinacher Schlossherrschaften („Allein nach diesen Baujahren 1737 – 1739 erscheint in der Gutsrechnung von Steinach wieder Dolnsteiner, der herwartische Wechseljude“, Die Geschichte von Steinach, S.34). Schlicht wollte hier in erster Linie die Verschwendungssucht des Adels anprangern, die zu ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten geführt hatte. Der Steinacher Adel besorgte sich häufig die nötigen Mittel für seine oft verschwenderischen Bedürfnisse durch Schuldaufnahme bei jüdischen Geldverleihern. Banken und Sparkassen gab es ja damals in unserem Raum noch nicht. Bei größeren Projekten, die der Fremdfinanzierung bedurften, kamen in beschränktem Ausmaß kirchlich Institutionen wie Bruderschaften in Betracht, vor allem aber gewerbliche jüdische Geldverleiher, die als Nichtchristen Zinsen verlangen durften, wegen der fehlenden Sicherheiten und des hohen Ausfallrisikos aber hohe Zinssätze verlangen mussten. Obwohl man ihn dringend brauchte, war der geldgebende Jude oftmals nicht sehr geschätzt; mussten doch die Schulden mit Zins und Zinseszins termingerecht zurückgezahlt werden. Vor diesem Hintergrund sind manche Judenprogrome im Mittelalter zu sehen, verbrannten mit den Juden doch auch die Schulden!
In diesem Zusammenhang sei auf Schlichts genossenschaftliches Engagement hingewiesen, das bisher literarisch kaum gewürdigt wurde. Im März 1905 wurde der Darlehenskassenverein Steinach gegründet, der später durch Fusion in der heutigen Raiffeisenbank Parkstetten aufgegangen ist. Bankdirektor Josef Murr führt dazu in der Festschrift zur Einweihung des Raiffeisenbankgebäudes Parkstetten im Jahre 1983 Folgendes aus: „Schriftführer des jungen Vereins war kein geringerer als der damalige Steinacher Schloßbenefiziat Josef Schlicht. Gerade von ihm mag auch ein gerüttet Maß an Initiative zur Gründung des Darlehenskassenvereins Steinach ausgegangen sein…. Der berühmte Schloßbenefiziat war überzeugter Anhänger und Mitglied des Bayerischen Bauernbundes. Solchermaßen mit der Mentalität, aber auch mit den Sorgen und Nöten der bäuerlichen Bevölkerung vertraut, darf Schlicht zugetraut werden, dass er für den Verein gerade in seinen Anfängen ein besonders wertvoller Mann war, zumal er als Eisenkopf galt, der es verstand, sich durchzusetzen …. Die erste Generalversammlung nach der Gründung des Darlehenskassenvereins Steinach fand am 20. August 1905 statt …. Diese Eintragungen stammen von Josef Schlicht, der ein sehr fleißiger Mann gewesen zu sein scheint, den er stellte zum Ende eines jeden Monats einen so genannten Monatsabschluß zusammen. Er wird im Jahre 1907 auch als Stellvertreter des Vorstandes genannt“.

Erster Eintrag im Vorstands-Protokollbuch des
neugegründeten Darlehenskassenvereins
Steinach vom 19. März 1905.
Als Drittunterzeichneter ist zu erkennen „Jos. Schlicht, Benefiziat“.
Josef Schlicht ist bis zu seinem Tod im Jahre 1917 Mitglied der Vorstandschaft
(Mit freundlicher Genehmigung der Raiffeisenbank Parkstetten)
Schlicht ist von seiner Erziehung und Ausbildung her ein integrer Charakter, der sittliche und moralische Werte sehr hoch ansiedelt. So gilt seine Kritik nicht dem Adel als solchen, sondern der Verschwendungssucht desselben, den er aus Steinacher Archivakten feststellen konnte. Schlicht wendet sich auch nicht gegen das Judentum, sondern gegen den „Wucherer“. Kurz gesagt: Schlicht verurteilt die beiden menschlichen Laster „Verschwendungssucht“ und „Habgier“. Er muss diese Laster schon von seiner priesterlichen Ausbildung und seinem Berufungsauftrag her anprangern und versuchen, die Menschen zu Besserem zu bekehren.
Sicher ist auch Schlicht ein Kind seiner Zeit. Er musste mit ansehen, wie mancher Bauernhof überschuldet war und von den Geldgebern (auch jüdischen) zur Versteigerung getrieben wurde. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er dies bemitleidet und verurteilt. Diese Einstellung ist auch heute oftmals noch gegenüber den Banken anzutreffen, wenn diese mangels Zahlungsfähigkeit des Kunden zur Verwertung seines Vermögens gezwungen sind.
Zu 3: Die Lehrerschaft als „Konservator“ von Josef Schlicht
Wax betritt hier ein gesellschaftspolitisches Gebiet. Die Aussagen dazu haben mit der Person „Josef Schlicht“ und seinem Werk im engeren Sinn nichts zu tun. Sie betrifft vielmehr eine später einsetzende Entwicklung und ist für die vorliegende Darstellung nicht relevant. Sie darf auf die Person „Josef Schlicht“ nicht in einem negativen Sinn zurückprojiziert werden.
Quellennachweis in Auswahl:
Agsteiner, Hans, Steinach, Eine Heimatgeschichte und Chronik der Gemeinde Steinach mit den Gemeindeteilen Münster, Agendorf und Wolferszell, Straubing 1996, Biographische Angaben, 112 ff. Geschichten von Josef Schlicht aus dem Gemeindebereich, 393 ff.
Gebhard, T., Volkskunde in Bayern, in: Roth/Schlaich (Hrsg.), Bayerische Heimatkunde, München 1974
Murr, Josef, Festschrift zur Einweihung des Raiffeisenbankgebäudes Parkstetten im Jahre 1983
Schlicht, Josef, Die im Text dieser Arbeit genannten Werke, zum Teil in Neuauflagen
Schlicht Manuskript, von Gemeinde Steinach erworben, veröffentlicht in: Gemeindebote Steinach, Ausgabe September 2000
Sigl, Rupert, Josef Schlicht – Der rechte treue Baiernspiegel, Eine Einführung in Leben und Werk des Klassikers der bairischen Volkskunde
Wax, Johann, Die Darstellung des Volkslebens bei Joseph Schlicht und ihre Wirkungsgeschichte, Magisterarbeit eingereicht bei der Universität Regensburg, Philosophische Fakultät IV, Sprach- und Literaturwissenschaften, Lehrstuhl für Volkskunde Prof. Dr. Konrad Köstlin, im September 1986
Weigert, Josef, Erinnerung an den Schlossbenefiziaten Joseph Schlicht, „Straubinger Tagblatt“, Erscheinungsdatum unbekannt